Misophonie bedeutet übersetzt Hass auf Geräusche.
Der Begriff ist relativ neu und die Krankheit wird noch nicht nach ICD 10 diagnostiziert. Man nimmt an, dass es sich um eine neurologische Störung handelt.
Jeder Mensch kennt Geräusche, die einfach nerven: Fingernägel auf einer Tafel, bremsende Straßenbahnen, schrilles Pfeifen usw.. Wer unter Misophonie leidet, kann aber ganz normale Alltagsgeräusche nicht ertragen und reagiert extrem darauf zum Beispiel mit Schweißausbrüchen, Stress, Flucht oder Aggression. Jedes Geräusch, ob es von einem Lebewesen oder von einem Gegenstand kommt, kann solchen Hass auslösen. Am schlimmsten sind Geräusche, die nahestehende Menschen machen.
Bei mir sind es vor allem Kaugeräusche, Atemgeräusche, Seufzen, Husten, Räuspern... . Auch Uhren, manche Stimmlagen und Klappern von Gegenständen sind Trigger. Problematisch sind für mich auch viele Tierlaute.
Auch wenn sich Misophonie in erster Linie auf Geräusche bezieht, können es auch andere Sinneseindrücke sein, die Stress, Flucht oder Aggression auslösen. Beispielsweise Gerüche, Gesten und Mimik. Jeder kennt es bestimmt: Gewisse Angewohnheiten oder Gesichts-ausdrücke von Verwandten bringen einen auf die Palme. Mit der Misophonie ist es jedoch schier unerträglich.
Ob jemand mit Flucht oder Aggression reagiert ist individuell verschieden. Natürlich weiß mein Verstand, dass all diese Geräusche, Gerüche, Gesten völlig normale Lebensäußerungen und keineswegs bedrohlich sind. Wenn aber ein Trigger greift, dann setzt der Verstand aus und eine nichtsteuerbare Kettenreaktion setzt ein. Ich bin dann sehr verkrampft, fange an zu schwitzen und mein Puls rast. Um mich zu "retten", kann ich entweder flüchten (was schwierig ist, wenn man gelähmt ist), aggressiv werden oder mich tot stellen (ich verfalle in eine Schockstarre). Normalerweise bin ich introvertiert und harmoniebedürftig. Aber bei manchen Triggern fühle ich eine mir fremde Wut in mir aufsteigen. Auf jeden Fall muss ich irgendetwas tun, um diesen Zustand zu beenden.
Nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen, die mir nahe stehen, ist das extrem anstrengend. Meine Mutter und meine Betreuerinnen versuchen ständig, Trigger zu vermeiden, was aber ja gar nicht möglich ist. Atmen muss ja jeder! Schon lange esse ich alleine und meine Mutter geht in einen anderen Raum, um einen Schluck zu trinken. Bevor wir wussten, dass es Misophonie überhaupt gibt, hat meine Mutter es persönlich genommen, wenn ich mich über ihre Essensgeräusche beschwert habe. Mit dem Wissen, dass es eine Krankheit ist und dass ich sie nicht persönlich meine, ist das jetzt für sie leichter zu ertragen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass das Zusammenleben mit mir durch die Misophonie ganz schön anstrengend ist.