Die Funktionelle Neurologische Störung ist eine Fehlfunktion des Nervensystems. Die Verarbeitung von Informationen zwischen Körper und Gehirn ist beeinträchtigt. Die Nerven an sich sind nicht geschädigt, es ist also kein „Hardware Problem“, sondern ein „Software Problem“. Die Krankheit äußert sich mit vielen verschiedenen Symptomen, die das Leben ganz massiv beeinflussen können, vergleichbar mit einer Multiplen Sklerose, Parkinson, Schlaganfall oder Epilepsie. Die Symptome und Einschränkungen sind sehr real, nicht beeinflussbar, und vor allem nicht eingebildet. FND wird zwar als eine seltene Erkrankung angesehen, ist aber verantwortlich für ungefähr 1/3 der Besuche bei Neurolog*innen.
Im Gegensatz zu englisch-sprachigen Ländern ist der Begriff FND (Functional Neurological Disorder) in Deutschland allgemein kaum geläufig. Funktionelle Krankheiten werden bei uns meistens als Dissoziative Bewegungsstörung oder Konversionsstörung diagnostiziert. Symptome können durch psychische Erkrankungen verstärkt werden, aber in erster Linie ist es eine neurologische Störung. Führende Ärzt*innen in der Behandlung von FND sind sich einig, dass FND eben nicht ausschließlich als Übertragung einer psychischen Störung auf die Körperebene ist, auch wenn keine offensichtlichen körperlichen Ursachen gefunden werden können. Die Theorie der Konversionsstörung ist demnach veraltet. Leider gibt es für FND noch keine große Lobby, die Forschung über diese Krankheit nimmt jetzt erst so richtig Fahrt auf.
Die Symptome einer FND sind sehr vielfältig und bei jeder*m Patient*in unterschiedlich ausgeprägt. Auch die Schwere der Symptome ist individuell verschieden. Bei manchen treten die Symptome nur gelegentlich auf und verschwinden dann wieder, bei anderen Betroffenen bleiben sie und verschlimmern sich permanent.
Folgende Symptome können beispielsweise auftreten:
„Patienten mit funktionellen Symptomen haben keine Struktur-Schädigung des Nervensystems und so ist es auch nicht überraschend, dass man keine Abnormalität bei einer bildgebenden Untersuchung des Gehirns finden kann. Stattdessen funktioniert/arbeitet das Nervensystem nicht korrekt.“ Zitat Quelle: http://www.neurosymptome.org/ursachen
Die Forschung zu den Ursachen von FND steht noch in den Kinderschuhen. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung wurde noch nicht festgestellt. Es gibt aber einige Faktoren, die das Auftreten von FND begünstigen.
Die weitverbreitete Meinung, dass funktionellen Symptomen immer psychisches Leid voraus geht, ist schlichtweg falsch. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage von FND Hope gaben die meisten Teilnehmer*innen an, dass es keine erkennbare Ursache gab, dass sie vor der Erkrankung ein ganz normales, glückliches Leben hatten und die Symptome unvermittelt auftraten.
Es ist richtig, dass manche Menschen, die in der Kindheit traumatische Erfahrungen gemacht haben, später im Erwachsenenalter körperliche, funktionelle Symptome entwickeln. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass jede*r mit FND in der Kindheit traumatisiert wurde. Wenn man sich sicher ist, dass man keine traumatischen Erlebnisse hatte, dann sollte man nicht auf Biegen und Brechen versuchen, irgendetwas Dramatisches, Verdrängtes in der Kindheit zu finden. Das ist eher kontraproduktiv und kann zu noch größeren Problemen führen.
Stress, Ängste, Depressionen können das Gehirn anfällig dafür machen, falsche Signale zu senden. Vorherige medizinische Probleme wie Unfälle, Verletzungen, Schlaganfälle oder auch Infektionen können ebenfalls FND auslösen. Nicht zuletzt sollten auch genetische Faktoren in die Ursachenforschung einzubeziehen.
Vorbei sind die Zeiten, in denen gedacht wurde, dass die Funktionelle Neurologische Störung eine reine Ausschlussdiagnose sei. Früher wurde angenommen, die Störung sei funktionell, wenn alle neurologischen Tests negativ waren und alle organischen Krankheiten ausgeschlossen werden konnten. Natürlich ist es bei jeder neurologischen Auffälligkeit notwendig, alle Standarduntersuchungen wie z.B. MRT, EEG, Nervenleitbahnmessung, Blutuntersuchung etc. durchzuführen, um andere neurologischen Krankheiten auszuschließen, die ähnliche Symptome hervorrufen.
Heute gibt es aber auch verschiedene Tests, die von Neurolog*innen angewendet werden, um FND positiv zu diagnostizieren:
Wichtig ist, dass der*die Ärzt*in alle Untersuchungen mit der Grundhaltung durchführt, dass die Symptome nicht eingebildet, sondern echt sind und vom Patienten oder von der Patientin nicht willentlich beeinflusst werden können. In Deutschland gibt es leider noch nicht allzu viele Neurolog*innen, die mit FND vertraut sind und die Krankheit richtig diagnostizieren.
Ich möchte ganz ehrlich sein, ich werde gleich einige Therapien vorstellen, die theoretisch in der Behandlung von FND je nach der Symptomlage angewendet werden sollten. Leider ist es in Deutschland in der Praxis aber so, dass es ein reiner Glücksfall ist, wirklich an eine kompetente Behandlung zu gelangen.
Die Funktionelle Neurologische Störung ist eine neurologische Krankheit und kann logischerweise nur multidisziplinär behandelt werden. Je nachdem, welche Symptome ein Mensch hat, kommen entsprechende ärztliche und therapeutische Fachrichtungen zum Tragen.
Bei der FND Behandlung geht es grundsätzlich darum, das Gehirn neu zu trainieren, abnormale Muster zu verlernen und durch normale Muster zu ersetzen. Je schneller eine Behandlung beginnt, desto größer ist die Chance, symptomfrei zu werden.
... ist eine Sonderform der Physiotherapie, die helfen soll, Verbindungen des Nervensystems neu zu formen oder zu verbessern.
Viele FND Patient*innen haben teils schwere chronische Schmerzen, die medikamentös behandelt werden können. Manche Symptome lassen sich durch Beruhigungsmittel dämpfen, aber bei allen medikamentösen Therapien besteht natürliche eine Gefahr der Abhängigkeit.
... kann Menschen mit kognitiven und motorischen Störungen helfen.
... kann Menschen mit Sprachstörungen helfen.
... Kognitive Verhaltenstherapie kann besonders bei der Bewältigung von Schmerzen und nicht-epileptischen Krampfanfällen helfen.
... dürfte in fast Fällen hilfreich sein, entweder weil schon eine Vorerkrankung wie z.B. Depressionen, Trauma etc. vorhanden war oder aber, um den Umgang mit einer schweren chronischen Krankheit besser verarbeiten zu können.
... kann bei Bewegungsstörungen helfen.
Symptome, Krankheitsgeschichte, Behandlung und Heilungschancen sind anscheinend bei jedem*r FND Patient*in unterschiedlich. Bei manchen Menschen bewirken die oben genannten Therapien tatsächlich eine Verbesserung. Es scheint aber so, dass sich manchmal einfach nichts daran ändern lässt und dass der*die Betroffene akzeptieren muss, an einer chronischen Krankheit zu leiden.
Nun habe ich oben einige Infos zusammengetragen, die ich selber auf eigene Faust recherchiert habe. Ich dachte, dass es vielleicht anschaulich ist, nun auch noch einen persönlichen Verlauf mit FND zu lesen, um sich ein besseres Bild machen zu können, wie einschneidend diese Krankheit sein kann. Was ich aber dazu bemerken möchte ist, dass ich eine sehr schwere Form von FND entwickelt habe.
Ich wurde nie mit FND diagnostiziert! Jedoch mit mehreren Dissoziativen Störungen. Ich habe so wenig Hilfestellung in der Bewältigung und so wenig Informationen bekommen, dass ich mich selber auf die Suche machen musste. Da ich kaum ärztliche Unterstützung erfahren habe und in Deutschland die Theorie der Konversionsstörung so weit verbreitet ist, habe ich nie die FND Diagnose erhalten, obwohl es wirklich offensichtlich ist, dass ich daran leide.
Leser*innen von meinem Blog wissen, dass ich schon seit vielen Jahren an mehreren psychischen Krankheiten leide.
2014 hatte ich meine ersten körperlichen Symptome. Ich wunderte mich, warum meine Beine manchmal sehr schwach waren. Ich war 23 Jahre alt und kam an manchen Tagen kaum die Treppen hoch. Ich dachte mir aber dabei nichts Schlimmes, denn die Schwäche ging auch schnell wieder weg. Mit der Zeit wurde es aber immer schlechter: Das ging so weit, dass ich immer häufiger für ein paar Stunden, Tage oder Wochen nicht gut gehen konnte, viele Pausen brauchte und sehr erschöpft war. Zusätzlich verlor ich immer mal wieder die Fähigkeit zu sprechen. Egal wie sehr ich versuchte, meine Stimme einzusetzen - es funktionierte nicht. Das machte mir große Angst. Meine damalige Psychotherapeutin hat mir nur geraten, meinen Zustand einfach „radikal zu akzeptieren“.
Ende 2015 wurde ich zum ersten Mal neurologisch untersucht. Es wurden ein paar Tests gemacht, allerdings konnte ein MRT nicht durchgeführt werden, weil ich eine massive Angststörung und Klaustrophobie habe. Deshalb kann ich auch nicht einfach zu irgendeinem Arzt in die Großstadt fahren. Alle neurologischen Tests waren unauffällig und die Diagnose hieß Dissoziative Bewegungsstörung.
Ich hatte am ganzen Körper große Schmerzen und ich war immer häufiger extrem erschöpft. Diese Erschöpfung ist nicht vergleichbar mit einer normalen Müdigkeit nach einem anstrengenden Arbeitstag. Nach kleinsten Anstrengungen, wie z.B. Zähne putzen, etwas essen oder Gesprächen folgen, musste ich mich stundenlang ausruhen. Auch die Chronische Fatigue wurde bei mir nie ärztlich diagnostiziert.
Im Sommer 2016 verlor ich endgültig die Fähigkeit zu gehen. Ich hatte für eine kurze Zeit einen Assistenzhund in der Ausbildung bei mir. Die Situation überforderte mich sehr stark. Nach einem besonders schlechten Spaziergang mit Panikattacke konnte ich plötzlich nicht mehr normal gehen. Ich bekam meinen ersten Rollstuhl, konnte aber noch an guten Tagen mit Krücken ein paar Schritte laufen. Zur gleichen Zeit verlor ich meine Stimme erneut. Sie blieb vier Monate weg, danach konnte ich in einem leisen Flüsterton reden.
Zu dieser Zeit habe ich mit der Hilfe meiner damaligen Therapeutin versucht, eine Psychosomatische Klinik für eine stationäre Therapie zu finden. Dabei ging es hauptsächlich um meine Dissoziative Identitätsstörung. Bis heute habe ich insgesamt ungefähr 80 Absagen von Kliniken im In- und Ausland eingesammelt. Mit meinen schweren psychischen Problemen und zusätzlich der körperlichen Pflegebedürftigkeit ist einfach keine Klinik in der Lage und bereit, mich aufzunehmen.
Die chronischen Schmerzen wurden immer massiver. Mir bleibt seitdem vor Schmerz der Atem weg, wenn meine Haut, der Rücken oder vor allem meine Füße angefasst werden. Zusätzlich bekam ich Missempfindungen in den Beinen und Füßen, die mich irre machen. Ich habe ständig das Gefühl, als würden mir Ameisen über die Füße laufen, die Füße mit Elektroschocks vibrieren oder als würde mir jemand plötzlich einen Nagel in den Fuß rammen. Wenn ich dann hinschaue, ist aber nichts da. Die Missempfindungen hörten seitdem nie auf.
Wir dachten, dass der Stress durch die damalige Überforderung mit dem Assistenzhund Grund für die Lähmung war, aber auch nachdem der Hund weg war und somit der angenommene Auslöser beseitigt wurde, ging es mir nicht besser. Spoiler Alert: dass tut es auch fünf Jahre später nicht.
Im Sommer 2017 gab es „Die große Verschlechterung“. Zuvor war ich noch mit meinem Rollstuhl mobil und konnte mich selbstständig umsetzen. Damit war dann Schluss. Ich war plötzlich zu schwach, mich ohne Hilfe in meinen Rollstuhl zu setzen, selbstständig zur Toilette zu fahren, mich zu waschen etc. Meine Arme hatten so viel Kraft verloren, dass ich nicht mehr in der Lage war, einen Kaffeebecher zu halten. Aufrecht zu sitzen wurde immer schwerer und mein Kopf wollte auch nicht mehr in einer normalen Position bleiben. Ich bekam einen neuen Namen: „Mehlöte“! „Mehl“ weil so schwer und eingesackt wie ein Mehlsack und „öte“ von Schildkröte, weil ich meinen Kopf nicht mehr halten konnte und dadurch wie eine eingezogene Schildkröte aussehe.
… Ich habe einen schwarzen Humor.
Somit begann mein Leben in meinem Bett. Meinen ersten Rollstuhl bekam ich ziemlich problemlos 2016. Schon nach gut einem Jahr konnte ich darin nicht mehr gut sitzen. Auf einen neuen Rollstuhl musste ich acht Monate warten, weil er zunächst abgelehnt wurde. Als er dann ausgeliefert wurde, hatte sich mein Zustand wieder so sehr verschlechtert, dass ich auch darin nicht mehr sitzen konnte. Ein E-Rollstuhl, den ich dann beantragt habe, wurde von der Krankenkasse abgelehnt, weil ich laut deren Aussage fahruntüchtig sein soll. Auch eine Klage brachte keinen Erfolg und somit habe ich keinen fahrbaren Untersatz. Deswegen kann ich mein Bett nicht mehr verlassen. Zur Toilette werde ich mit dem Patientenlifter gebracht.
Im Oktober 2017 verlor ich erneut meine Stimme, nur kam sie diesmal nie wieder zurück, seitdem bin ich komplett stumm.
2019 wurde ich stationär von einem Neurologen untersucht inkl. MRT in Vollnarkose und Nervenleitbahnmessung. Ich kannte damals schon FND, aber die Ärzt*innen haben darüber nicht mit mir geredet. Ich wurde ohne weitere Therapievorschläge entlassen mit dem Rat mich and die Psychiatrische Institutsambulanz zu wenden. Alle Untersuchungen haben gezeigt, dass ich in Topform war. Keine Auffälligkeiten! Und doch bin ich gelähmt, stumm, habe ständig extreme Schmerzen und Fatigue, habe im ganzen Körper ausgeprägte Muskelschwäche, habe dauerhaft Missempfindungen, kann Temperaturen an meinen Beinen nicht mehr richtig fühlen, an manchen Tagen hängt eine Gesichtshälfte. Ich habe eine Spastik in den Beinen und manchmal in den Händen, leichte Tics, Wortfindungsstörungen, Brain Fog, sehr ausgeprägte Spitzfüße, sehr starke Licht- und Geräuschempfindlichkeit, manchmal verschwommenes Sichtfeld, Kopfschmerzen und zwischen 2017 bis 2019 hatte ich zusätzlich nicht-epileptische Krampfanfälle.
Nun ist es 2021 und ich bin vollkommen pflegebedürftig und bettlägerig. Aus ärztlicher Sicht besteht keine Chance auf Verbesserung. Seit Beginn der Krankheit hat sich mein körperlicher Zustand permanent weiter verschlechtert. Für eine Zeit lang hatte ich einmal in der Woche Physiotherapie ohne einen Therapieerfolg. Die einzige Ärztin, die ich zweimal im Jahr sehe, ist meine Hausärztin, die zum Hausbesuch kommt. Alle anderen Fachärzte und Therapeuten haben mich aufgegeben und ich bin überhaupt nicht mehr in der Lage, weiter entfernte Spezialisten aufzusuchen oder an einen Klinikaufenthalt zu denken.
Ich will keine Angst unter Betroffenen verbreiten, aber die traurige Wahrheit ist leider, dass besonders komplexe Fälle oft nicht die Behandlung bekommen, die sie eigentlich dringend bräuchten.
Die deutsche Patienteninitiative für funktionelle neurologische Störungen hat eine neue Webseite:
Aus der deutschen FNS Patienteninitiative hat sich diese Facebook-Gruppe gegründet:
https://fndhope.org/fnd-research/fnd-research/
Ein globaler Verein, der sich um Öffentlichkeitsarbeit bemüht. Hier gibt es viele wichtige Infos zu FND, zur Forschung und zur Behandlung. Oben rechts kann man die Seite auf Deutsch einstellen.
Diese Seite wurde von Dr. Jon Stone erstellt, einem der führenden Forscher*innen und Ärzt*innen zu FND. Verfügbar in mehren Sprachen.
Die Schmieder Klinik ist soviel ich weiß, die einzige Klinik in Deutschland, die FND behandelt.
https://www.facebook.com/groups/functionalneurologicaldisorder
Eine Facebook-Gruppe, die ich sehr informativ und konstruktiv finde.
Die Charité Berlin forscht zum Thema nicht-epileptische Krampfanfälle und hat eine informative Broschüre erstellt.
https://www.york.ac.uk/news-and-events/news/2021/research/research-reveals-cause-mystery-condition
Die University of York hat Forschungsergebnisse zu einer möglichen strukturellen Ursache veröffentlicht. (Englisch)
https://rarediseases.org/rare-diseases/fnd/ (Englisch)
Informative Artikel.