Reha vs. Pflegebedürftigkeit = Fehlschlag

Blick auf den Bodensee
Blick auf den Bodensee

Passiert es dir manchmal, dass dir etwas so absurd vorkommt, dass du denkst, du hättest es dir ausgedacht? Genau das ist mir vor ein paar Tagen widerfahren. Ich, die über viele Jahre im Gesundheitswesen nur auf Abweisungen gestoßen bin, erlebte genau das erneut. Es fühlt sich so abwegig und absurd an, dass ich glauben möchte, ich hätte mir das nur eingebildet – aber das ist nicht der Fall, denn es ist wirklich passiert.

Im Jahr 2023 hatte ich bereits eine Reha bei meiner Krankenkasse beantragt, was jedoch abgelehnt wurde. Ich wollte in die einzige geeignete Klinik, die eine Spezialabteilung für Patient*innen mit funktionellen neurologischen Störungen und gleichzeitig eine Pflegestation hat. Im März 2024 versuchte ich es erneut und stellte einen neuen Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme in der Schmieder Klinik in Konstanz.

Nach einer ersten Ablehnung und einem Widerspruch wurde die Reha schließlich genehmigt – allerdings zunächst in einer anderen Klinik. Meine Krankenkasse behauptete, dass die Klinik in Konstanz keinen Vertrag mit ihr hätte. Mit einer E-Mail konnte ich diese Behauptung jedoch widerlegen. Daraufhin wurde die Reha nun in der richtigen Klinik genehmigt, und seit September wartete ich auf die Aufnahme in der Schmieder Klinik in Konstanz.

Ende November erhielt ich dann den langersehnten Anruf, dass ich im Dezember meine Reha antreten könnte. Zur Vorbereitung darauf schrieb ich viele Listen, kaufte jede Menge neue Kleidung und einige andere Dinge ein, die ich in der Reha brauchen würde. Ich hatte gut eine Woche Zeit, um die Fahrt an den Bodensee zu organisieren. Ich wollte mit dem einzigen Rollstuhltaxi, das es in meinem Landkreis gibt und mit dem ich fahren kann, dorthin reisen – und glücklicherweise klappte das auch.

Am 10.12.24 um 22 Uhr stand das Taxi vor meiner Haustür. Wir luden mein beträchtliches Gepäck ins Auto und machten uns auf den Weg zu einer kleinen Weltreise Richtung Süden. Meine Mutter begleitete mich und sollte nach ein paar Tagen wieder nach Hause fahren. Mit einer kleinen Umleitung lagen gut 900 Kilometer vor uns.

Ein Grund, warum ich lange hin- und her überlegt hatte, einen erneuten Antrag zu stellen, waren meine großen Bedenken wegen der langen Fahrt. Zu Hause schaffe ich es höchstens einmal in der Woche, für ein paar Stunden im Rollstuhl zu sitzen. Da ich weiß, welche Schmerzen ich nach nur wenigen Stunden im Rollstuhl habe, hatte ich große Angst vor der langen Reise. Aber es gibt eben nur diese eine Klinik für mich und keine anderen brauchbaren Transportmittel.

Am 11.12.24 kamen wir um 9 Uhr morgens in Konstanz an. Die Klinik ist sehr schön gelegen, direkt am Bodensee mit direktem Zugang zum See. Trotz meiner Bedenken bezüglich der Fahrt und wie ich in der Klinik behandelt werden würde, freute ich mich darauf und wollte mir die Möglichkeit geben, alles einfach auf mich zukommen zu lassen und den Bodensee zu sehen.

Meine Mutter und die Taxifahrerin luden also das Auto aus und stellten meine durchaus amüsante Menge an Gepäck im Eingangsbereich ab. Schnell kam ein Krankenpfleger von der Station, auf die ich kommen sollte. Er brachte uns auf die Station. Zu diesem Zeitpunkt saß ich bereits seit 11 Stunden im Rollstuhl und hatte wirklich erhebliche Schmerzen.

Der Pfleger, der mich auf die Station brachte, führte mit mir das erste Eingangsgespräch, fragte nach genauen Informationen zu meinem Pflegebedarf und wirkte dabei wirklich freundlich. Danach konnte ich mit einem Patientenlifter in mein Bett umgesetzt werden, worüber ich sehr glücklich war. Kurze Zeit später kam dann die Pflegedienstleiterin ins Zimmer und sagte zu mir in einem vorwurfsvollen und erstaunten Ton: „Sie sind ja ein * Pflegefall * !“ und meinte, dass sie den Pflegeaufwand für mich nicht leisten könnten. Das Gesicht meiner Mutter, als uns diese Informationen mitgeteilt wurden, geht mir nicht aus dem Kopf. Mein Lachanfall ging schnell in Weinen über.

Wir riefen sofort das Taxi an, das bereits auf dem Nachhauseweg war, und hielten die Rückfahrt an. Denn ich hatte keine andere Möglichkeit, ohne das Taxi nach Hause zu kommen.

Zur Vorbereitung auf meinen Klinikaufenthalt musste ich natürlich einige Fragebögen und Informationen an die Klinik senden. Auch meine Hausärztin musste einen Fragebogen ausfüllen und den Barthel-Index angeben. Der Barthel-Index berechnet eine Punkteanzahl, die zeigen soll, wie pflegebedürftig jemand ist. Ich kenne außerdem einige andere Patientinnen, die meiner Meinung nach einen vergleichbaren Pflegebedarf und eine ähnliche Schwere der Behinderung haben und in dieser Klinik waren. Deswegen hatte ich mir keine Sorgen gemacht, dass meine Pflege ein Problem darstellen könnte.

Nun wurde jedoch behauptet, dass meine Unterlagen nicht aussagekräftig seien und der Barthel-Index nicht korrekt ausgefüllt wurde. Meine Hausärztin hätte meinen Pflegebedarf zu gering bewertet. Dass ich Pflegegrad 4 und einen Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G, AG, B und H für hilflos habe, würde keinerlei Aufschluss über meine tatsächliche Pflegebedürftigkeit geben. Uns wurde gesagt, dass ich auf den Chefarzt der Station warten sollte, um die Situation erneut zu besprechen; er würde das letzte Wort haben.

Der teilte mir (durchaus freundlich) mit, dass sie meinen Pflegeaufwand nicht leisten könnten und ich mit einem 24/7-Assistenzteam, das ich selbst organisieren müsste, wiederkommen solle. Die zwei Sätze, die mir aus diesem Gespräch am meisten im Gedächtnis geblieben sind, waren: „Frau Kraus, das tut mir leid“ und meine Antwort darauf: „Ja, ich tue mir auch gerade leid.“

Ich, im E-Rollstuhl sitzend, vor der Klinik in Konstanz
Ich, im E-Rollstuhl sitzend, vor der Klinik in Konstanz

Wir baten also erneut das Taxi, das schon auf dem Rückweg war, umzukehren und uns wieder mitzunehmen. Nach etwa einer Stunde im Bett setzte mich meine Mutter dann wieder in meinen Rollstuhl, packte mein Gepäck ein und wir verließen erneut die Station. Ich war vorher noch nie am Bodensee gewesen und wollte nicht ohne einen Blick auf den See den Heimweg antreten. Die Stimmung war genauso trübe wie das Wetter und der sonst so schöne See- und Alpenblick war in Nebel und Wolken gehüllt.

Um kurz vor 15 Uhr am 11.12.24 fuhren wir wieder aus Konstanz los. Wir verbrachten viele Stunden im Auto und mussten zahlreiche Pausen einlegen, da meine Beine regelmäßig bewegt werden mussten, nachdem ich so lange im Rollstuhl gesessen hatte. Es machte keinen Sinn, über die Schmerzen und die Umstände während der Autofahrt zu jammern, denn es gab keine andere Möglichkeit; wir konnten uns nicht entscheiden, dass wir das nicht wollen. Die Fahrt war wirklich schlimm! Ich bin ganz schön resilient!

Wir kamen endlich gegen 3 Uhr nachts am 12.12. wieder zu Hause an. Ich wurde so schnell wie möglich umgesetzt und meine Mutter und ich fielen dann ziemlich schnell ins Bett. Richtig schlafen konnten wir im Auto auf beiden Strecken nicht wirklich. Vom Start am 10.12. bis zu unserer Heimkehr am 12.12. waren wir insgesamt gute 30 Stunden unterwegs – das war heftig!


Ich hatte bereits oben erwähnt, dass ich große Bedenken wegen der Fahrt hatte und es mir davor graute. Eine Strecke war schon schlimm, aber die Rückfahrt am selben Tag war unbeschreiblich.

Die Ärzte und das Pflegepersonal aus der Klinik konnten nicht wissen, dass ich seit vielen Jahren mit Ablehnung konfrontiert werde. Ich hatte wirklich gehofft, dass diese Serie endlich unterbrochen wird, aber dieses Erlebnis reiht sich nahtlos in die Reihe der verweigerten Hilfe und Behandlung ein.

Natürlich möchte ich nicht in einer Klinik bleiben, in der mir von vorneherein gesagt wird, dass man mich nicht angemessen versorgen kann – das liegt schließlich in meinem eigenen Interesse. Ich weiß nicht genau, wo der Fehler lag. Vielleicht hätte ich proaktiver sein und nachfragen sollen oder meine Hausärztin hat den Fragebogen tatsächlich nicht richtig ausgefüllt. Auch die Klinik könnte meine Unterlagen nicht gründlich genug durchgesehen haben oder sich nicht gemeldet haben, wenn es Unklarheiten gab. Wahrscheinlich spielen viele Faktoren zusammen. Fakt ist jedoch: So wie es gelaufen ist, ist es eine Katastrophe. Auch deswegen, weil diese Klinik alternativlos ist: es gibt in Deutschland keine andere spezialisierte Klinik, die FNS Patient*innen behandeln und eine Pflegestation in der Reha Phase C hat. Das weiß ich auch durch meine ehrenamtliche Mitarbeit in der Patienteninitiative Funktionelle Neurologische Störungen.

Mein ganzes Umfeld und ich haben so viel Energie, Zeit und Geld in die Vorbereitung gesteckt. Ich musste mich komplett neu einkleiden, diverse Hilfsmittel besorgen. Außerdem musste geplant werden, was hier mit meinem fünf-köpfigen bestehenden Assistenzteam während meiner Abwesenheit passiert. Meine Katze musste betreut werden und tausend andere Kleinigkeiten waren zu regeln. Und ich habe mich wirklich auf die Reha gefreut. Alles umsonst!

Die Alternative, mit einem 24-Stunden-Assistenzdienst zurückzukehren, ist zwar gut gemeint, aber schwer umzusetzen – Finanzierung, Personalakquise usw. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, noch einmal mit Assistenz in die Klinik zurückzukehren, denn der erneute Schlag sitzt tief und die Fahrt dorthin würde ich auch nicht noch einmal freiwillig auf mich nehmen.

 

Fürs Erste habe ich die Schnauze voll!

* Warum die Bezeichnung „Pflegefall“ ableistisch ist und nicht in deinem Wortgebrauch sein sollte:

„Behinderte Menschen als „Pflegefall“ zu bezeichnen, reduziert sie auf Pflegebedürftigkeit. Wenn Menschen zu „Fällen“ werden, werden sie als Objekte und Last für die Allgemeinheit wahrgenommen.“
Quelle: Leidmedien

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